Nicht jeder Studierende ist von Prüfungsangst gleichermaßen betroffen. Jeder wird individuell unterschiedlich stark dadurch beeinträchtigt. Es finden sich Angaben, die davon ausgehen, dass bis zu der Hälfte der Studierenden unter Prüfungsangst leidet. Dies wäre bei fast drei Millionen Studierenden in Deutschland eine recht beträchtliche Zahl. Selbst, wenn tatsächlich weniger Menschen betroffen sind, ist klar, dass Prüfungsangst unter Studierenden keine Seltenheit ist. Doch wie entsteht sie? Und warum bist du davon betroffen? Der Inhalt dieser Seite stammt aus dem utb-Band Prüfungsangst bewältigen von Irene Warnecke.
Natürlich spielt neben den biologischen Aspekten der Angst, die uns alle betreffen, immer eine wichtige Rolle, was wir persönlich im Laufe unseres Lebens zum Thema Angst gelernt haben. Hierbei hat es vermutlich auch einen Einfluss, wie ängstlich unsere eigenen Eltern waren und welchen Umgang mit Gefühlen der Angst sie uns beigebracht haben. Wurdest du beruhigt und getröstet oder waren deine Eltern genauso in Angst gefangen, wie du heute selbst in der Prüfungssituation? Auch weitere individuelle Erfahrungen und Erlebnisse können eine bedeutende Rolle spielen. Selbst wenn du diese nicht immer direkt mit dem Thema „Angst“ und vor allem nicht mit dem Thema „Prüfung“ in Verbindung bringen kannst.
Dieses Kapitel soll dir bei der Suche nach möglichen Ursachen deiner Prüfungsangst helfen. Nicht selten spielen frühere Prüfungserfahrungen eine gewichtige Rolle. Oft ist es jedoch schwer, die eigene Prüfungsangst zu konkreten früheren Erlebnissen in Bezug zu setzen. Die Ursachen von Prüfungsangst sind individuell, vielfaltig und nicht immer leicht zu benennen. Dennoch ist es möglich, Hinweise zu finden, warum du betroffen bist. Faktoren, die im Zusammenhang mit starker Prüfungsangst oft genannt werden sind mangelndes Vertrauen in die eigene Person und/oder die eigenen Fertigkeiten. Auslöser dafür können bereits in früher Jugend oder Kindheit liegen.
Generell gilt ein ausgewogenes Selbstvertrauen als Basis, um gut durch das Studium und, in Folge, auch durch das Leben zu kommen. Es hilft bei der Bewältigung von Prüfungsangst, beziehungsweise schützt davor, starke Prüfungsangst zu entwickeln. Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen mit einem schlechten Selbstwert dazu neigen, sich selbst die Schuld zu geben, wenn etwas nicht gut läuft (vgl. z. B. Brown & Dutton, 1995). Dies sorgt in der Folge dafür, dass sie sich selbst als weniger kompetent erleben. Sie neigen eher dazu, sich deprimiert zu fühlen. Sie schauen häufiger pessimistisch in die Zukunft und sind anfälliger für Fehlschlage. Man spricht auch von einem Teufelskreis des negativen Selbstwertes: Negativer Selbstwert führt zu negativen Erwartungen.
Menschen mit einem positiven Bild von sich selbst zeigen hingegen eine Tendenz zu einem glücklichen, gesunden, produktiven und erfolgreichen Leben. Dies sind zugegebenermaßen sehr pauschale Aussagen, die nur die zwei Extreme auf der Dimension „Selbstwert“ beschreiben. Die meisten Menschen befinden sich mit ihrem Selbstbild irgendwo dazwischen.
Theorien gehen davon aus, dass unser Streben nach einem guten Selbstwert dadurch bedingt ist, dass wir soziale Wesen sind und uns mit anderen verbunden fühlen mochten. Wir möchten wertvolle Mitglieder unserer Gesellschaft sein. Unser selbst wahrgenommener Selbstwert gibt uns quasi einen Hinweis darauf, wie wir in den Augen anderer erscheinen, ob wir wertvoll für die Gemeinschaft sind. Dabei stimmt unsere eigene Wahrnehmung nicht automatisch mit der Wahrnehmung der anderen überein. Wenn du beispielsweise denkst, der Prüfer halte dich für unwissend, oder du dir sicher bist, dass du das Wissen nicht gut wiedergeben kannst. Oder falls du glaubst, dass du gar nichts weißt. Der Prüfer muss dies nicht genauso sehen und erleben. Es ist sogar meistens so, dass wir in den Augen anderer weniger negativ erscheinen, als wir es uns selbst zuschreiben.
Eine weitere gute Nachricht ist, dass unser Selbstwert kein auf Dauer festgelegtes Konstrukt ist, sondern sich im Laufe unseres Lebens und unserer Erfahrungen verändern kann. Wir können sogar aktiv daran arbeiten, dass sich unser Selbstwert verbessert. In diesem Zusammenhang ist hilfreich zu verstehen, dass unser Selbstkonzept aus vielen Aspekten besteht. Nicht nur das Studium oder die Leistung in diesem spielt eine Rolle bezüglich unserer Selbstbewertung. Ob wir uns zum Beispiel als guten Freund und Zuhörer verstehen, kann ein weiterer Aspekt sein. In manchen Bereichen bewerten wir uns daher vielleicht bereits deutlich positiver als in anderen. Darauf kann man aufbauen. Das Wichtigste ist, dass du dir bewusst machst, dass du deinen Selbstwert verbessern kannst. Neben dem Selbstwert gibt es noch andere Faktoren, die zu der Entwicklung starker Prüfungsangst beitragen können. Im Folgenden findest du Beispiele anderer Studierender sowie Fragen und Übungen, die dich bei der Entdeckung deiner persönlichen Gründe unterstützen können. Oft ist es leichter kritische Aspekte in der eigenen Entwicklung zu erkennen, wenn man sich mit den Erfahrungen anderer auseinandersetzt. Dabei kann man Parallelen und auch Unterschiede zur eigenen Biografie oft klarer ausmachen. Auch können einem Erlebnisse ins Auge fallen, die eine Relevanz für die eigene Problematik haben, obwohl man sie zuvor als Auslöser gar nicht in Betracht gezogen hatte.