In seinem utb-Band Methodisches Recherchieren erläutert Michael Haller für Studenten der Medien- und Kommunikationswissenschaft wie mit einigen Quellen der Information zur Recherche umzugehen ist. Diese Informationen zu Wikipedia, Behörden, etc. kann aber für alle Studierende von Interesse sein.
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[Nicht als Hauptrecherche, aber für die Einarbeitung, oft auch als Basisrecherche] sehr nützlich ist Wikipedia aus zwei […] Gründen. Der Erste: Wikipedia ist zwar keine Primärquelle, aber eine sehr ergiebige Sekundärquelle, indem bei vielen Ausführungen die Herkunftsquellen genannt und (wenn Internet) abrufbar sind. Wer sich zum Beispiel in die Ereignisse rund um die »CDU-Parteispendenaffäre« von 1999 mit der anschließenden Schwarzgeldaffäre von Helmut Kohl einlesen möchte, freut sich über eine detailreiche Chronologie und die damit verknüpften Spezialthemen sowie die Porträts der beteiligten Politiker.
Man findet 19 Einzelnachweise (überwiegend Presseberichte) sowie insgesamt sieben Links zu Primärquellen, die per Klick geprüft und genutzt werden können.
Ist das üppig?
Der zweite Grund ist die bei Wikipedia vorgeschriebene Transparenz der Textbearbeitung und -diskussion. Über den Reiter »Diskussion« gelangt man bei unserem Beispiel zum Abschnitt »Quellen« und findet hier ab Frühjahr 2009 aufschlussreiche Kommentare, zum Beispiel über den Mangel an zuverlässigen Primärquellen wie auch neue Hinweise und Formulierungsvorschläge. Beispielsweise wurde ein Abschnitt, der über mögliches Schwarzgeld aus dem SED-Vermögen schwadronierte, in der Folge der Diskussion sechs Jahre später (2015) mangels Belege herausgenommen.
Allgemein gesagt: Die scheinbar neutrale, den Medien als Dienstleistung dienende Einrichtung »Öffentlichkeitsarbeit/Pressestelle« oder ähnlich verfolgt nur ausnahmsweise dieselben Ziele wie der Rechercheur. Tatsächlich sind dies Informanten, die sich gleichsam im Niemandsland zwischen »neutral« und »involviert« bewegen: Einerseits dienen sie der Informationsverbreitung und sind insofern unbeteiligt; andererseits sind sie Interessensvertreter und insofern an der Vermittlung ganz bestimmter Informationen (bzw. an der Unterdrückung anderer Informationen) interessiert und darum keineswegs neutral.
Wenn es um die Informations- oder Auskunftsbegehren des Rechercheurs geht, muss zwischen den behördlichen Pressestellen einerseits und den Informationsgebern aus der Wirtschaft, den Dienstleistungsunternehmen, NGOs, Verbänden und Prominenten andererseits unterschieden werden. Erstere folgen Verpflichtungen, die sich aus dem öffentlichen Interesse ableiten, Letztere sind PR-Stellen, Marketingagenturen und Agenten, die Partikularinteressen dienen und für deren Zwecke Auftragskommunikation organisieren.
Freilich orientieren sich viele PR-Stellen – darin dem Pressekodex des deutschen Presserats ähnlich – an eigens geschaffenen berufsethischen Standards. So hat der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) einen »Kommunikationskodex« ausgearbeitet, der 2012 von den vier Trägerverbänden der PR-Berufe in Kraft gesetzt wurde.
Darin heißt es unter anderem (Ziffer 1): »PR- und Kommunikationsfachleute sorgen dafür, dass der Absender ihrer Botschaften klar erkennbar ist. Sie machen ihre Arbeit offen und transparent, soweit dies die rechtlichen Bestimmungen und die Verschwiegenheitsverpflichtungen gegenüber den jeweiligen Arbeits- oder Auftraggebern zulassen.«
Für Rechercheure, die PR-Stellen kontaktieren, ist auch Ziffer 9 relevant: »PR und Kommunikationsfachleute sind der Wahrhaftigkeit verpflichtet, verbreiten wissentlich keine falschen oder irreführenden Informationen oder ungeprüfte Gerüchte.« (Näheres: www.kommunikationskodex.de/wp-content/uploads/Deutscher_ Kommunikationskodex.pdf).
Bei »amtlichen Informationen« geht es um Vorgänge, an denen staatliche Behörden zumindest beteiligt waren. Hinzu kommen (unter bestimmten Gegebenheiten) vom Staat mit der Besorgung öffentlicher Aufgaben betraute Organisationen und Einrichtungen.
Um gegenüber Behörden an Informationen heranzukommen, hat der Rechercheur zwei Beschaffungshilfen: zum einen das seit 2006 geltende Informationsfreiheitsgesetz (IFG) auf Bundesebene wie auch entsprechende Gesetze auf der Bundesländerebene (bis 2015 in zwölf Bundesländern); zum andern die in allen Bundesländern geltenden Landesmedien- bzw. Landespressegesetze. Erstere Hilfe kann jede Person in Anspruch nehmen, Letztere sind den Berufsjournalisten vorbehalten.
Informationsfreiheitsgesetz: Mit der Inkraftsetzung des IFG verbindet sich in punkto Behördeninformation ein Paradigmenwechsel: Früher galt das Prinzip, dass behördliche Informationen nur ausnahmsweise öffentlich zu machen sind; seither gilt umgekehrt, dass Geheimhaltung die Ausnahme sein soll. Wer das IFG für sich in Anspruch nehmen will, muss einen Antrag stellen (formloses Schrei ben an die jeweils zuständige Behörde). Auf diesem Wege kann der Rechercheur Daten- oder Akteneinsicht zum fraglichen Vorgang erhalten, sofern dieser abgeschlossen und dokumentiert ist. Informationen über laufende Verfahren oder über Aufzeichnungen, die nicht zum förmlichen Vorgang gehören, sind nicht erhältlich; Anträge für personenbezogene Daten müssen gut begründet sein.
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Definition: Im journalistischen Sinne sind dies nicht zwingend Berufsfachleute, sondern alle Personen, die a) ein größeres Sachwissen besitzen als der Rechercheur und die b) nicht in eigener Sache sprechen. Darum dürfen sie in den Vorgang, der gerade recherchiert wird, auch nicht verwickelt sein. Experte ist beispielsweise der Studienrat, der uns als erfahrener Briefmarkensammler über die aktuellen Markttrends im Hinblick auf die große Briefmarkenauktion detaillierte Hinweise gibt. Und wie verhält es sich mit dem Versicherungsvertreter, der seit vielen Jahren zu den bekanntesten Hunderasse-Züchtern der Region zählt und über genetische Defekte der Import-Dalmatiner viel zu sagen weiß? Experte ist der dann, wenn er selbst keine Dalmatiner züchtet; andernfalls wäre er in dieser Frage nur bedingt glaubwürdig.
Im Unterschied zu Fachleuten besitzen Informanten meist keine spezifische Sachkompetenz. Sie geben Wissen (Gehörtes, Gelesenes, Ermitteltes) an den Rechercheur weiter. […]