Der Klügere liest rot.

Was ist "wissenschaftlich" am wissenschaftlichen Schreiben?

Um effizient und erfolgreich zu schreiben, muss man den Schreibprozess bewusst steuern. Das Buch Checkliste Schreibprozess von Christian Wymann und Franz Neff bietet für jede Phase des Schreibprozesses Fragen und Antworten, mit deren Hilfe Schreibende ihren eigenen Weg finden. Es dient als Checkliste, um zu überprüfen, welche Aspekte des wissenschaftlichen Schreibens in welcher Phase berücksichtigt werden sollten.

Einleitung

Denken Sie für einen Moment darüber nach, wie Sie vorgehen, wenn Sie eine Reise planen. Welche Dinge bereiten Sie vor, damit die Reise ein Erlebnis wird? Woran müssen Sie vor Reiseantritt denken?
Sie kaufen sich womöglich einen Reiseführer, schauen im Internet nach, wo Sie übernachten können, welche Sehenswürdigkeiten Sie besuchen wollen, welche Einreisebestimmungen bestehen und wo Sie die Reisepapiere herbekommen. Vielleicht benötigen Sie auch noch Impfungen oder müssen Ihren Pass erneuern lassen. Sie sehen, Sie müssen bereits im Vorfeld einiges organisieren. Und dann geht es ans Packen, bevor Sie sich zum Bahnhof oder Flughafen aufmachen, wo Sie noch schnell Geld wechseln müssen. Wir gehen nicht davon aus, dass Sie sich ohne Reisevorbereitung ins Abenteuer stürzen, nur um bereits am Flughafen zu stranden, weil Sie kein Einreisevisum vorweisen können, oder dass Sie Ihren schlimmsten Urlaub erleben, weil Sie nichts über Land und Leute wissen.
Damit wollen wir Ihnen verdeutlichen, dass das Schreiben eines Textes eine Art Reise darstellt, die es sorgfältig zu planen gilt.Das gilt für jeden Text, den Sie in Angriff nehmen. Denn jede Schreibaufgabe ist anders und erfordert von Ihnen sorgfältige Planung. Dadurch finden Sie sich besser im Schreibprozess zurecht. Stürzen Sie sich also nicht blind ins Schreibabenteuer, sonst wird aus der Reise ein Höllentrip.

1.1 Auftragsanalyse

Bevor Sie sich zu fest ins Thema knien, sollten Sie den Schreibauftrag genauer unter die Lupe nehmen. Nur dann gehen Sie sicher, dass Sie das tun, was von Ihnen verlangt wird. Es wäre schade, dass Sie zwar eine gute Arbeit verfasst haben, die aber am Thema vorbeigeht und nicht akzeptiert wird. Und dies nur, weil Sie die Aufgabenstellung nicht genau analysiert haben.

Was sagt das Studienreglement?

Für Qualifikationsarbeiten wie die Bachelor- und Masterarbeit, aber auch Hausarbeiten finden sich Informationen, Vorgaben und Kriterien oftmals im Studienreglement, speziellen Dokumenten oder Leitfäden. Studieren Sie diese sorgfältig, denn sie könnten grundlegende Informationen zu schriftlichen Arbeiten im Allgemeinen und den Qualifikationsarbeiten im Besonderen enthalten. Sind die gewünschten Informationen nicht verfügbar, fragen Sie Dozierende, Betreuungspersonen oder das Sekretariat.

Welche Vorgaben muss ich für den Schreibauftrag erfüllen?

Ein Schreibauftrag gibt Ihnen im Idealfall Vorgaben zu verschiedenen formalen und inhaltlichen Aspekten des Textes. Solche Aufträge können ganz kurzgehalten oder aber ausführlich über mehrere Seiten beschrieben sein – so ist das auch für Forschende, die publizieren oder Vorträge halten wollen. Mit einem Mangel oder einer Fülle an Vorgaben umgehen zu können, muss geübt werden. Alles, was Sie daraus zum Schreibauftrag entnehmen, hilft Ihnen, den anstehenden Prozess und den Text besser
zu planen. Welche Vorgaben Sie auch erhalten, versuchen Sie, sich daran zu halten.

Zu folgenden Aspekten werden häufig Vorgaben gemacht:
•Thema: Breite oder nähere Bestimmung des Themas, worüber Sie schreiben sollen. Entweder ist es zu breit gewählt, weshalb Sie selbst eine Eingrenzung vornehmen müssen, oder aber es ist bereits auf eine Frage oder These eingegrenzt.
• Textsorte: Welch Textsorte wird von Ihnen verlangt? Es macht einen Unterschied, auch in Verbindung mit den anderen Vorgaben, ob Sie zum Beispiel eine Hausarbeit, ein Protokoll, einen Essay, eine Bachelor- oder Masterarbeit, einen Forschungsartikel oder eine Buchbesprechung schreiben
sollen. Studieren Sie die Eigenschaften einer für Sie neuen Textsorte (z.B. Kruse 2007: Kap. 6).
• Länge: Die Länge wird in der Regel in Anzahl der Zeichen, Wörter oder Seiten angegeben. Beachten Sie, was nicht dazugezähltwird (z.B. Tabellen, Anhang).
• Gestaltung: Gegebenenfalls erhalten Sie Vorgaben, wie das Layout einer Seite auszusehen hat (Schriftart und -größe, Zeilenabstand, Kopf- und Fußzeilen, Ränder etc.).
• Struktur: Entweder Sie haben freie Hand oder Sie erhalten eine klare Vorgabe, welcher Struktur Ihr Text zu folgen hat. Nähere Angaben dazu finden Sie in Kapitel 3.
• Termine: Sie erfahren, wann Sie Ihren Text einreichen müssen, allenfalls auch, wann Sie Ihre Themenwahl, Fragestellung u.a. bekanntgeben müssen.

Was, wenn klare Vorgaben fehlen?

Falls Sie bisher noch nie einen so ausführlichen, schriftlichen Schreibauftrag erhalten haben, machen Sie sich keine Sorgen. Es kann sein, dass Ihnen Dozierende in knappen Sätzen im Seminar
erläutern, was Sie wann einreichen müssen. Vielleicht werden Sie auch nur auf das Studienreglement oder eine Webseite verwiesen, woraus Sie selbst die nötigen Informationen entnehmen müssen. In diesem Fall – aber auch sonst keine schlechte Idee –, sollten Sie sich die Reglemente und Leitfäden des Studiengangs ansehen. Und ja, für jeden Studiengang, in dem Sie eingeschrieben sind, denn die Vorgaben können sich unterscheiden. Finden Sie nur spärliche Informationen, sollten Sie eine
Frageoffensive starten. Abhängig von der Arbeit, die Sie zu schreiben haben, fragen Sie bei der zuständigen Person oder Stelle nach (Dozierende, Betreuungspersonen, Studienberatung,
Sekretariat etc.). Scheuen Sie sich nicht, gezielt Fragen zu den Vorgaben des Schreibauftrags zu stellen, die für Sie nach eingehendem Studium der vorhandenen Informationen noch unklar oder ungenau sind. Die Klärungen sollen Ihnen helfen, Ihre Arbeit effizient und gut erledigen zu können.

Für wen schreibe ich?

Erhalten Sie keine Vorgaben über das Textpublikum, können Sie entweder bei der Betreuungsperson nachfragen oder aber selbst definieren, an wen sich Ihr Text richten soll. Das hängt mit der Textsorte, dem Zweck und dem Kontext zusammen, in dem Sie schreiben. Auch wenn es sich um ein imaginäres Publikum handelt, das Ihren Text nie ansehen wird, zum Beispiel Forschende auf einem bestimmten Gebiet, profitieren Sie davon: Sie können Fragen zur Themeneingrenzung, dem Sprachstil, der Wissensaufbereitung, Begriffsdefinitionen u.a. gezielter klären.

Darf ich Hilfe in Anspruch nehmen?

Falls Ihnen der Schreibauftrag oder das Reglement keine Informationen dazu geben, ob und in welcher Form fremde Hilfe erlaubt ist, fragen Sie nach. Es geht nicht darum, ob Sie jemanden beauftragen, Ihren Text zu schreiben. Das wäre Ghostwriting und ist in jedem Fall wissenschaftlichen Arbeitens verboten. Klären Sie ab, ob und wie man den Text lektorieren lassen darf. Nicht jeder Studiengang oder jede Hochschule erlauben das. Was Sie aber in jedem Fall in Anspruch nehmen dürfen und sollten, ist
Peer-Feedback (mehr dazu in Kapitel 6).
Ein Text kann durch ein Lektorat nur gewinnen, sei das stilistisch oder in Sachen Rechtschreibung und Grammatik. Sie entscheiden aber schließlich selbst bei jeder veränderten Textstelle, ob Sie den Änderungsvorschlag übernehmen oder nicht. Sie alleine verantworten den Text.

Wie verstehe ich den Auftrag und wie gehe ich damit um?

Den offiziellen Auftrag und die Vorgaben zu verstehen, ist eine Sache. Eine andere ist es, sich klarzumachen, was der Auftrag bedeutet und wie Sie damit umgehen. Denn Ihre Vorstellungen
vom Auftrag können sich durchaus von jenen der Auftraggebenden unterscheiden. Das mag seltsam klingen, haben Sie sich docheingehend mit dem Schreibauftrag auseinandergesetzt. Die eigenen
Vorstellungen, also der innere Auftrag, müssen aber nicht immer mit dem äußeren, offiziellen Auftrag deckungsgleich sein. Vielleicht trifft das nicht auf die Länge oder Struktur des Textes zu, sondern vielmehr auf die Erwartungen an sich selbst.

Sind meine Erwartungen an mich selbst mit Blick auf die Vorgaben angemessen?

Die Vorgaben könnten für eine Hausarbeit und eine Masterarbeit ähnlich klingen, gehen aber mit unterschiedlichen Erwartungen einher. Im Fall der Hausarbeit üben Sie sich im Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit; im Falle der Masterarbeit müssen Sie beweisen, dass Sie es können. Wenn Sie nun bei einer Hausarbeit die Erwartungen haben, die für eine Masterarbeit angemessen wären, überfordern Sie sich. Erwarten Sie hingegen von sich selbst bei der Masterarbeit zu wenig, können Sie ebenso in Schwierigkeiten geraten. Gehen Sie also auf Nummer sicher und klären Sie für sich,
was Sie bei diesem Schreibauftrag machen wollen. Gibt es Unterschiede zwischen dem, was Sie sich vorstellen, und dem Arbeitsauftrag? Möchten Sie das Thema anders angehen, eine andere Theorie oder Methode als vorgegeben behandeln oder würden Sie lieber eine andere Textsorte verfassen?
Anstatt sich selbst neue Vorgaben zu geben oder sich an andere Erwartungen zu klammern, sprechen Sie nochmals mit der Betreuungsperson. Denn Sie wollen nicht Wochen oder Monate mit Forschen und Schreiben verbringen, um dann nach Abgabe erfahren zu müssen, dass Ihre Arbeit wegen Abweichungen vom Auftrag abgelehnt wurde. Suchen Sie das Gespräch frühzeitig, damit es später keine bösen Überraschungen gibt.